Spielbeurteilung

Rebel Inc.

26.09.2023
Zivile Opfer vertuschen? Beim Versuch der Koalition nach dem Einmarsch den Rücken freizuhalten, merken wir: Ehrlichkeit bringt keine Punkte. Rebel Inc. ist ein kurzweiliger Echtzeit-Strategie-Titel, der erst in der Reflektion spannend wird.
In Rebel Inc. sind wir kurz nach der Jahrtausendwende Kopf einer Koalitionsoperation, die in Gebiete des Mittleren Ostens „einmarschiert“ ist. Mit dem Ziel in dem Gebiet Befürwortung für unser Dasein zu gewinnen, verlangt uns das Spiel ab, via Touchscreeneingabe die passenden Investitionen zu tätigen. Dabei sollten möglichst wenige Zugeständnisse an unsere lokalen Widersacher, „die Rebellen“, gemacht werden, denn sonst bricht die unbestimmte Koalition unseren Einsatz ab.

Schließen wir alle Missionen beim ersten Versuch im Schwierigkeitsgrad Normal ab, dauert es nur etwa eine Stunde, bis wir an das Ende der kostenlosen Level kommen. Neben fünf Missionen im Hauptspiel und einem Versuch in der wöchentlichen Herausforderung, haben wir nur mit Erwerb der Premium-Version Zugriff auf den Großteil der Inhalte. Auch „Cheats“ sind zu erwerben, die uns einen signifikanten Startvorteil verschaffen. Diese sind zwar erspielbar, jedoch nur, wenn alle Karten auf dem härtesten Schwierigkeitsgrad durchgespielt wurden. Wer Geld investiert, hat darauf jederzeit Zugriff. Es handelt sich also um einen Pay2Win-Titel. Abseits eines Werbebanners für die Premium-Version agieren wir in der kostenfreien Version uneingeschränkt, sobald wir die Mission gestartet haben.

Von monetären Starthilfen bis hin zum Supersoldaten: In Rebel Inc. stehen Zahlenden oder Langzeitspielern Cheats zur Verfügung.

Zu Beginn des Spiels entscheiden wir uns für einen Standort, an dem wir unsere Basis errichten. Danach können wir Investitionen tätigen, die die Operation vorantreiben. Diese werden in zivile, militärische oder Regierungsaktionen unterteilt. Die Wahl der Aktionen wirkt sich neben unserem Budget auf vier weitere Faktoren aus. Schnell aufeinanderfolgende Ausgaben erhöhen die Inflation, wodurch der Preis von Aktionen steigt. Einmal oben, hilft nur ein Ausgabestopp, um das Budget zu schonen. Der Korruptionsspiegel steigt im Laufe des Spiels mit jeder Ausgabe und kann mit der Implementierung von Korruptionsbekämpfung gedämpft werden, ehe wir an Unterstützung im Land verlieren. Der Unterstützungsgrad zeigt den Zuspruch der Zivilbevölkerung an. Dieser kann beispielsweise durch den Wiederaufbau von Schulen steigen, sinkt jedoch mit der Schaffung örtlicher Milizen. Je mehr Befürwortung von der Bevölkerung kommt, desto schneller „stabilisiert“ sich ein Gebiet und mit jeder „Stabilisierung“ erhält unsere Operation Rufpunkte. Der Ruf der Operation entscheidet über Sieg und Niederlage. Auch wenn wir ihn mit einigen Investitionen, wie der Schaffung einer „Gerechten Justiz“, kurzweilig zum Steigen bringen, sind unsere Reaktionen auf die Geschehnisse die ausschlaggebenden Faktoren über die Vergabe der Rufpunkte. Zudem bedingen unsere Reaktionen auch alle anderen genannten Parameter.

So werden wir beispielsweise mit der Anfrage eines Krankenhausbaus konfrontiert. Diese können wir entweder genehmigen, wodurch der Zuspruch, aber auch die Korruption wächst. Alternativ können wir sie auch übernehmen, was eine Ausgabe für uns bedeutet wodurch jedoch der Zuspruch steigt, oder wir können die Anfrage ablehnen, was uns Befürworter in der Region kostet. Ein weiteres Beispiel ist das Laufzeitende stationierter Soldaten aus der operationstragenden Koalition: Verlängern wir deren Mission zu Gunsten unserer militärischen Stärke, so verlieren wir Rufpunkte. Genehmigen wir es jedoch, die Soldaten heimkehren zu lassen, so verlieren wir eine Militäreinheit und stärken gleichzeitig das Rebellenpotenzial im Einsatzgebiet.

In den Friedensverhandlungen mit den Rebellierenden kommt es zu mehreren Diskussionspunkten. Jeder birgt 3 Auswahloptionen, die den Ruf und die Schlachtfelddynamik beeinflussen.

„Rebellen“ bilden die Gegenseite in Rebel Inc. Sie bilden Lager und nehmen Gebiete ein, die den Spielenden Rufpunkte kosten. Ohne unser Zutun destabilisieren Rebellen gewonnene Gebiete oder nehmen bevölkerungsreiche Areale ein und kosten uns so den Sieg. Kurz nach Spielbeginn nehmen wir „Rebellenaktivitäten“ in einem abgelegenen Bereich auf der Karte wahr und bekommen dadurch in der Regel die Freigabe für Militäraktionen. Diese decken eine Vielzahl an Aufrüstungsmaßnahmen ab: von der Ausbildung nationaler Kampftruppen, dem Ausbau von Überwachungsdrohnen bis hin zur Initiierung von Luftangriffen. Meist benötigen wir eine Kombination von allen dreien, um Rebellierende einzukesseln, damit wir sie „ausmerzen“ können. Erst dadurch können wir unser Territorium ungehindert weiterstabilisieren.

Die Gebiete in Kontrolle des Aufstands (rot) lassen unsere Rufpunkte sinken, wie wir an der rechten Leiste sehen.

Navid Nail
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Pädagogische Beurteilung:

In Rebel Inc. kontrollieren wir den Haushalt, das Militär, die Aufbauhilfe und alles, was sonst so in der Operation anfällt. Während wir im Besatzungsgebiet eine „Gerechte Justiz“ installieren und „den Wechsel in die Demokratie“ durchführen, haben wir als Spielende die Alleinherrschaft in der Operation, die den Titel „Hopeful Dawn“ trägt. Wir erhalten ausschließlich Meldungen, die im Spielverlauf aufploppen, die Trends vorhersagen und höchstens Empfehlungen beinhalten. Diese sind nicht von Ämtern oder Personen ausgestellt und berechnend formuliert. Die Option Beratende einzustellen, die uns Boni bieten, ist nur denen vorbehalten, die bereit sind auf die kostenpflichtige Premiumversion umzusteigen oder In-App-Käufe zu tätigen. Dasselbe betrifft die Charakterwahl. Das Hauptspiel erlegt uns in der kostenfreien Android-Version auf, ob wir die sparsame Bänkerin, die unser Budget mit Zinsen aufbessert, oder der martialische General, der Truppen anlasslos ausbilden kann, oder jemand ganz anderes zugewiesenes sind. Wir müssen nehmen, was wir kriegen. Es hat schon einen gewissen Witz: Wenn wir wählen wollen, müssen wir zahlen. Damit im Hinterkopf, erklären wir in Rebel Inc. als Alleinherrschende des Koalitionsvorhaben einer ach-so-korruptionsanfälligen Zivilbevölkerung, wie gerechte Justiz und Demokratie funktioniert. Diese krude Doppelmoral wird jedoch nicht thematisiert. Voran kommt, bei wem die Ergebnisse stimmen.

Es kann eine Frage der Zeit sein, bis dieses Kredo auf die eigenen Entscheidungen abfärbt. Nach der ersten Reihe von Niederlagen im normalen Schwierigkeitsgrad, der benötigt wird, um voranzuschreiten, kann der Aufbau von Versorgungsstrukturen von Militäraktionen überschattet und das Vertuschen ziviler Opfer beim Luftangriff zur Routine werden. Der Erfolg zeigt welchen Führungsstil das Spiel belohnt. Ehrlichkeit und Transparenz bringen keine Punkte.

Mehrere Koalitionstrupps (blau) umzingeln Rebellierende (rote Punkte). Hat man ihre Fluchtwege abgeschnitten, kann man sie „ausmerzen“.

Das Entwicklerstudio Ndemic Creations ist geübt darin, uns durch sterile Benutzeroberflächen, Echtzeit-Statistiken und kinderleichter Bedienung in moralisch fragwürdige Abgründe zu locken. Dieses Mal ist es jedoch nicht die Entwicklung eines Virus, der die Menschheit vernichten soll, wie im Erstlingswerk Plague Inc. der Fall, sondern die fadenscheinige „Stabilisierung“ mittelöstlicher Länder durch Waffengewalt und PR-Teams. Stetiges Reflektieren ist bei Spielen von Ndemic Creations daher angebracht. Das Erkennen der Überschreitung ethischer Grenzen durch/sowie die Dichotomie zwischen fortschrittlichen Westen und primitiver Zivilbevölkerung erfordert ein ausgeprägtes Reflexionsvermögen. In Situationen, in denen dieses nicht vorausgesetzt werden kann, könnten Lernkontexte dafür eine Umgebung bieten.

Andersherum ist es auch denkbar, dass Rebel Inc. Lernkontexte bereichern kann, dies aber ausdrücklich nur mit kritischer Begleitung. Das Spieleerlebnis kann im Ethikunterricht durch anschließende Reflexion den Lernenden das Einbüßen moralischer Prinzipien zu Gunsten des (Spiel-)Fortschritts vor Augen führen. Zusätzlich dazu kann Rebel Inc. durch die Aufschlüsselung in einzelne Aktionen und Events eine spielbare Dekonstruktion „moderner“ Kriegsführung liefern, die in der politischen Bildung Anklang finden aber auch im Geschichtsunterricht zum Dritten Golfkrieg eingesetzt werden kann.

Fazit:

Das Entwicklerstudio Ndemic Creations lockt uns wieder in moralische Abgründe. Der Krieg gegen die Menschheit beschränkt sich diesmal auf den Mittleren Osten. Das Spiel liefert in sich keinen Bildungsgehalt, außer es wird unter pädagogischer Betreuung als Dekonstruktion moderner Kriegsführung oder als Reflexionsanlass im Ethikunterricht angewandt.
Navid Nail
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Siehe auch

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Bildnachweise

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